Tellerwaschen geht auch mit einer Hand

Artikel in der Buchloer Zeitung vom 07. Juni 2016

Tellerwaschen geht auch mit einer Hand

Dysmelie Selbsthilfegruppe trifft sich im Ascher Haus der Begegnung

 

Hand in Hand Treffen

Alexandra Sommer-Mltterreiter (links) und lsabella Nölte organisieren seit vielen Jahren die Treffen der Selbsthilfegruppe in Asch. 

Foto: Andreas Hoehne

 

Asch Ein wichtiger Anlaufpunkt für von Dysmelie betroffene Familien sind die jährlichen Treffen der Selbsthilfegruppe „Hand in Hand“.

Organisiert werden sie seit vielen Jahren von Isabella Nölte aus Landsberg und Alexandra Sommer-Mitteirreiter aus Asch. Heuer waren etwa 100 Menschen aus ganz Süddeutschland in das Ascher Haus der Begegnung gekommen, um sich mit Betroffenen auszutauschen. 

 

Flexibel zeigten sich die beiden Organisatorinnen am Vormittag. Denn Paul Rohmann, der seine selbst entwickelte Unterarmprothese vorstellen wollte, war erkrankt.

So waren es der 17-jährige Tobias Sommer aus Asch und der 20-jährige Felix Abeldt aus Rottenburg am Neckar, die sich bereitwillig der Fragenrunde stellten. Beiden fehlen von Geburt an die linke Hand mit einem Stück des Unterarms. Sie absolvieren derzeit nach ihrem bestandenen Abitur ein Jahr im Bundesfreiwilligendienst, Tobias beim Sportverein Fuchstal. Lukas möchte danach Sonderpädagogik studieren und Tobias strebt eine naturwissenschaftliche Fachrichtung an.

 

Tobias und Felix

Aus Ihrem Alltag erzählten Tobias Sommer (links) und Felix Abeldt.
Foto: Andreas Hoehne

 

Führerschein? Kein Problem

 

Breit gefächert war dann der Katalog der angesprochenen Bereiche, die stets sehr locker und offen beantwortet wurden. So wurde nachgefragt, wie der Führerschein erworben werden konnte. Tobias besitzt einen Drehknopf für das Lenkrad, mit dem er sogar jedes Fahrzeug bedienen kann, Felix darf nur Automatikautos steuern. Tobias fühlt sich nicht wohl mit einer Prothese, während Felix sie mittlerweile nur beim Taekwondo oder bei guten Freunden ablegt.

 

„Schwimmen war für mich gar kein Thema“, erklärt der Ältere, und wenn er irgendwas nicht gekonnt habe, wurde es eben so lange geübt, bis es geklappt habe. 

 

Welche Berufe denn für Kinder ohne Hand gar nicht gehen, wollen die Anwesenden wissen. Er habe sich schon erfolgreich für einen Nebenjob als Tellerwäscher beworben, erklärt Felix. Nach einem Probetag war sein Chef sich, dass er darin Spitze sei. Auch bei der freiwilligen Feuerwehr sei er dabei, vornehmlich allerdings als Melder, fügt Felix schmunzelnd hinzu. Polizist wird schließlich als ein Ausschlussberuf genannt- aber da werde man ja auch nicht genommen, wenn man zu klein sei oder Asthma habe, heißt es.

 

Krokodil oder Kettensäge

 

Breiten Raum nimmt schließlich auch noch die Frage ein, wie man denn mit Gaffern umgehe. Manche Menschen seien einfach dumm, meint eine Mutter. Felix hat sich eine besondere Strategie zugelegt, wenn danach gefragt wird, ob er denn einen Unfall erlitten habe.

 

„Wollt ihr die Geschichte vom Krokodil oder die von der Kettensäge hören?“, antworte er dann. Wenn man offen gefragt werde, erkläre man es eben, heißt es mehrheitlich, nur Isabella Nölte meint, manchmal sei sie einfach zu müde, immer wieder dasselbe zu erzählen.

 

,,Ich bin ein ganz normaler Jugendlicher und brauche keine Extrawurst“, zieht Tobias für sich ein Fazit. Viel schwieriger war für ihn, der eine Klasse übersprungen hat, dass er immer der Kleinste gewesen sei. 

 

Dass trotz Handicaps ein ganz normales Leben möglich ist, berichtet seine Mutter Alexandra Sommer-Mitterreiter auch über die anderen älteren Kindern aus der Selbsthilfegruppe. „Sie erscheinen teilweise nur noch aus Dankbarkeit und um ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben“. Denn gerade für die neuen, heuer waren es vier Familien, sei es unglaublich wichtig, dies von den „alten Hasen“ zu erfahren. Insgesamt gehören 60 Familien der Gruppe an. 

 

Als Ansprechpartner mit dabei ist auch Orthopädietechniker Wolfgang Gröpel, der über Prothesen informiert. (hoe)



 

Was ist Dysmelie?

 

Expertin in dieser Frage ist llse Martin.

 

Die Betroffene hat im Vorjahr ein „Hand- und Fußbuch“ mit über 300 Seiten veröffentlicht, das sie bei dem Treffen vorstellte („Dysmelie“, Homo-Mancus-Verlag Maintal, ISBN: 978-3-9814104-3-3).

 

Als „Dysmelie“ bezeichnet sie darin den Oberbegriff für „angeborene Fehlbildungen eines oder mehrerer Gliedmaßen, also der Arme oder Beine“. Meistens handele es sich um eine „Laune der Natur“. So seien die Ursachen der Fälle zu über 60 Prozent unbekannt. In den Blickwinkel der Öffentlichkeit gelangt waren die Fehlbildungen vor über 55 Jahren im Rahmen des Contergan-Skandals. Über die Häufigkeit des Auftretens gibt es laut llse Martin unterschiedliche Angaben, sie schwanken je nach Ausgeprägtheit zwischen einem Fall auf 600 Geburten bis zu einem auf 20 000. 

 

In ihrem Buch greift llse Martin unter anderem auch historische Aspekte, die Eigenperspektive der Eltern, die Berufswahl und die Möglichkeiten für Sport und Musik auf. Schließlich stellt sie 13 verstorbene oder noch lebende Persönlichkeiten mit Dysmelien vor. (hoe)

Sogar klettern geht mit nur einer Hand

Isabella und Alex

Landsberger Tagblatt, Donnerstag, 17. Juni 2010


 

Sogar klettern geht mit nur einer Hand

 

Dysmelie-Kinder: Treffen in Asch

 

 

 

Über 100 Erwachsene und Kinder aus ganz Süddeutschland nahmen am diesjährigen Treffen der Gruppe „Hand in Hand“ im Ascher Haus der Begegnung teil. In der Selbsthilfe-einrichtung haben sich Menschen zusammengeschlossen, die selbst oder deren Angehörige von Dysmelie betroffen sind. Bei dieser „Laune der Natur“ kommen Kinder auf die Welt, denen aus noch ungeklärten Ursachen einer der Gliedmaßen oder Teile davon fehlen. Zumeist sind Arme und Hände betroffen.

 

 

 

Klettern

Ziel der Treffen ist es nicht nur, Informationen auszutauschen, sondern auch, in Gesprächen mit anderen Betroffenen zu erfahren, dass ein Leben mit diesem Handicap gut zu bewältigen ist. So ging es heuer um Dysmelie-Kinder in Kindergarten und Schule. Im Kindergarten habe es nur ganz wenig Probleme gegeben, waren sich die selbst betroffenen Erwachsenen und die Eltern der größeren Kinder überraschend einig. So kreiste das Gespräch dann vorrangig um andere Fragen. Wie reagiert man, wenn das Kind seine Behinderung entdeckt und etwa an seinem Geburtstag fragt: „Und wann wächst mir meine zweite Hand?“ Auch der Umgang mit den „Nicht-Behinderten“ und ihren oft aufdringlichen Blicken wurde angesprochen. Ich interpretiere das ganz einfach als „Interesse meiner Mitmenschen an mir“, erzählte eine junge Frau, der ein Arm fehlt und die nach ihrer Tätigkeit als Erzieherin nun Sonderpädagogik studiert. Eine wichtige Rolle, um mit dem Handicap umzugehen, spielt das Selbstwertgefühl, hieß es von mehreren Teilnehmern der sehr offen geführten Gesprächsrunde. Dies zu vermitteln sei eine wichtige, aber auch schwierige Aufgabe der Eltern. „Wer mit einem besonderen Körper geboren ist, braucht zuerst tolle Eltern“, meinte deshalb Isabella Nölte. Die vierfache Mutter von gesunden Kindern aus Landsberg, der von Geburt an ein Arm fehlt, organisiert zusammen mit Alexandra Sommer aus Asch die Treffen. Deren von Dysmelie betroffener Sohn kann auch mit nur einer Hand Trompete spielen und die Tastenkombination „Strg+ Alt+ Entf“ am Computer erzeugen, war auf einem der Aushänge zu lesen. 

 

 

 

Ein besonderes Erlebnis bedeutete am Nachmittag der Ausflug in die Fuchstalhalle. Dort bestand die Möglichkeit, unter fachkundiger Anleitung und Sicherung die Kletterwand zu erklimmen. „Unsere Einhänder zuerst“, gab Alexandra Sommer angesichts des großen Interesses an dem Ausflug in die Höhe aus. Und diese Dysmelie-Kinder bewältigten trotz ihres Handicaps mit ausgeprägtem Ehrgeiz diese Aufgabe überraschend gut und konnten damit wieder ein „Stückehen Selbstvertrauen tanken“. (hoe)

 

 

 

Infos über Dysmelie und die Selbsthilfegruppe gibt es im Internet unter der Adresse

 

www.hand-in-hand-shg.org

Auch Schwimmen kann man mit nur einer Hand

Blasinstrumentenspiel

Landsberger Tagblatt

Mittwoch, 1. JULI 2009 – Nummer 148

 

Auch Schwimmen kann man mit nur einer Hand

Dysmelie Treffen der Selbsthilfegruppe in Asch

Von Andreas Hoehne

 

(Asch) Auch wenn die Frage nach dem „Warum“ wieder einmal unbeantwortet blieb, herrschte beim Treffen der Selbsthilfegruppe „Hand-in-Hand“ eine optimistische Stimmung. Die etwa 20 Familien aus ganz Südbayern, die sich im Haus der Begegnung in Asch zusammengefunden hatten, verbindet ein gemeinsames Schicksal. Einer ihrer Angehörigen ist ohne eine Hand oder einen Arm zur Welt gekommen, eine weitgehend noch ungeklärte Erscheinung, die unter dem Begriff 

„Dysmelie“ bekannt ist. Mit nach Hause nehmen konnten die Eltern am Ende jedoch die Bestätigung, dass ihre Kinder trotz fehlender Gliedmaßen ein ganz normales Leben führen können. 

 

Beispielhaft zeigten dies die beiden Organisatorinnen des Treffens. Isabella Nölte aus Landsberg wurde vor 42 Jahren selbst ohne rechten Unterarm geboren und ist Mutter von vier gesunden Kindern. Und Alexandra Sommers Sohn Tobias, dessen linke Hand fehlt, besucht mit gutem Erfolg die Schule und spielt auch ohne linke Hand Trompete, wie er in Asch zusammen mit Amelie und ihrem Tenorhorn demonstrierte. Seine Schwimmurkunde, die seine Mutter an die Info-Tafel geheftet hatte, gab dann Impulse für den Erfahrungsaustausch am Rande und speziell für die Eltern eines zweijährigen Mädchens einen positiven Aspekt für die Zukunft. 

 

 

 

Lebensgeschichten die Mut machen

 

 

 

Gleichermaßen Mut gemacht haben den Eltern die Lebensgeschichten von zwei Betroffenen. Sehr anschaulich wurde geschildert, wie mit Ausdauer und mit Hilfe einer Prothese allen Widerständen zum Trotz eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert werden konnte. Mittlerweile leitet er sogar eine ambulante Kinderkrankenpflege im Rheinland. Er riet den Betroffenen, mit Zuversicht nach vorne zu schauen. Denn es gebe letztlich keine „behinderten Menschen“ sondern nur solche mit „besonderen Bedürfnissen“. Ihr Leben mit Dysmelie gemeistert hat ebenso die Referentin des Vormittags, die 56-jährige Ilse Martin aus Hochstadt in Hessen.  Sie ist als Heilpraktikerin tätig, machte vor fünf Jahren das Abitur nach, studiert in Frankfurt Sonderpädagogik und arbeitet an einem Buch, in dem sie 50 Menschen mit Dysmelie vorstellen will. Sie listete eine Reihe von Theorien auf, die es über diese „Laune der Natur“ gibt, die vor mehr als 2000 Jahren bereits von Aristoteles beschrieben wurde. So beschäftigen sich Forschungen mit der Abschnürung durch „Amniotische Bänder“, dem Mangel an Vitamin A oder verschiedenen nicht beeinflussbaren Einflüssen während der Schwangerschaft, ohne allerdings zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen. 

 

 

 

Abenteuerliche Erklärungen 

 

 

 

Abenteuerlich seien die Erklärungen, die sich manche Ärzte für die Eltern nach der Geburt von Dysmelie-Kindern einfallen ließen. Ihr habe man gesagt, ein Schockerlebnis während der Schwangerschaft habe die Fehlbildung ausgelöst, berichtete eine anwesende Mutter. Die Rede war. dann in der Gesprächsrunde vor allem von den Problemen im Umgang mit „Gesunden“. „Außenstehende sehen oft nur das, was wir nicht können, nicht unsere Fähigkeiten“, meint Ilse Martin. „Ich bin eben nicht nur mein fehlender Arm.“ Doch wohl auch durch die besseren Informationen über Dysmelie habe sich die Akzeptanz im Vergleich zu früher wesentlich verbessert, waren sich die Teilnehmer des Treffens dann einig,

 

 

 

Selbsthilfegruppe „Hand in Hand“

 

 

 

Die Selbsthilfegruppe für Menschen mit fehlenden Fingern, Hand oder Arm gibt es seit 1998. Seit vier Jahren findet das jährliche Treffen in Asch statt. Die Vereinigung gibt Informationen und Adressen für den Bezug von Hilfsmitteln für den Alltag weiter und setzt sich intensiv mit dem Thema „Prothese“ auseinander. So war in Asch mit Wolfgang Gröpel aus Waldenbuch bei Stuttgart auch ein Orthopädietechniker anwesend. Daneben geht es der Gruppe darum, Eltern „Mut zu machen“ und Vorurteile in der Öffentlichkeit durch Informationen abzubauen. Hierzu dient auch der Internetauftritt unter der Adresse www.hand-in-hand-shg.org. Dort werden die Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme genannt. Finanziert wird die Arbeit durch Mitgliedsbeiträge und Spenden („Hand in Hand“, Konto 78079282 bei der Stadtsparkasse München, Bankleitzahl 701 500 00). Ausführliche Infos finden sich auch auf der Intemelseite von IIse Martin (www.dysmelien.de).

 

Betroffenen Eltern Mut machen

Alex und Isabella

Treffen der Dysmelie-Selbsthilfegruppe „Hand in Hand“

 

Landsberger Tagblatt 20.06.2008

von Andreas Höhne

 

(Fuchstal) „Ich wollte doch ein richtiger Mann werden – wie sollte das gehen, ohne zwei richtige Hände?“ Dass dies durchaus geht, wurde den Teilnehmern des Gesprächskreises klar, der dieses Mal im Rahmen des Treffens der Selbsthilfegruppe „Hand in Hand“ stattfand. Zahlreiche Eltern mit von Dysmeliebetroffenen Kindern, denen einzelne Gliedmaßen fehlen, tauschten sich mit dem 61-jährigen Harald und dem 45-jährigen Lorenz aus. 

Harald hatte von Geburt an mit seinem „Handicap“, Fehlbildungen an den Händen und Füßen, zu leben, Lorenz verlor vor 22 Jahren einen Arm und ein Bein bei einem Motorradunfall. Bereitwillig schilderten sie in dem von Thomas Reichenberger aus Penzing moderierten Gespräch ihren Umgang mit ihrer Beeinträchtigung. Ich habe alles probiert, was ich schon vorher gemacht habe, erzählt Lorenz, der sich beim Versehrtensport fit hält. Erlebnisse aus seiner Kindheit, wie etwa, als ihm eine Frau „aus Mitleid fünf Mark in die Hand drückte“ oder wie er als Junge sich in der Gruppe der Gleichaltrigen behauptete, schildert Harald. 

Deutlich wird in der Runde, wie wichtig vor allem den Eltern der kleinsten Betroffenen diese Begegnungen sind. Zeigen sie ihnen doch, dass auch nach dem „Schicksalsschlag“ ein fast ganz normales Leben möglich ist. Und wie man gerade auf dem flachen Land offen und unvoreingenommen mit Kindern umgeht, denen eine Hand oder ein Arm fehlen, wird gleich mehrfach hervorgehoben. 

Weitere Themen bei diesem Treffen, an dem 50 Erwachsene und 36 Kinder teilnahmen, die bis aus Frankfurt und aus der Schweiz angereist waren, bildeten „praktische Tipps zur Säuglingspflege“ oder von Susanne Graßl vorgestellte Bücher, die sich mit dem „Anderssein“ beschäftigen. Für Fragen rund um Prothesen stand ‚ der Orthopädietechniker Wolfgang Gröpel aus Waldenbuch bei Stuttgart zur Verfügung und vorgestellt wurden weitere Hilfsmittel oder geänderte Kleidungsstücke, die in einem Basar teilweise auch erworben werden konnten. Für die Betreuung der anwesenden Kinder hatte die Fuchstaler „MaMa-Initiative“ Spielmaterial bereit gestellt. 

Die Selbsthilfegruppe wird von Isabella Nölte aus Landsberg und Alexandra Sommer aus Asch geleitet. Sie organisieren derzeit 42 betroffene Familien aus dem Raum Südbayern. Gerade in der letzten Zeit hatte man durch den Internetauftritt eine Reihe von Neuzugängen zu verzeichnen. Die Tätigkeit der Selbsthilfegruppe beschränkt sich nicht auf die Ausrichtung des jährlichen Treffens. So werden auch regelmäßig Stammtische angeboten. Ziel aller Aktivitäten ist es, Eltern, deren Kind mit fehlenden oder fehlgebildeten Gliedmaßen geboren wurde, von Anfang an Mut zu machen und sie zu unterstützen. Genauso wichtig ist der Initiative auch die Information von Außenstehenden. So hatte man vor zwei Jahren Broschüren über Dysmelie und die Selbsthilfegruppe an 300 Kranken und Geburtshäuser versandt. Begleitet mit der Bitte, diese nach der Geburt von Kindern mit Fehlbildungen an die Eltern weiterzugeben, damit diese nicht alleingelassen werden, sondern Kontakt zu anderen Betroffenen aufnehmen können. Umso enttäuschter war Alexandra Sommer nun, als sie beim Treffen von einer Familie aus Starnberg erfuhr, dass dies in ihrem Fall nicht passiert sei. „Es ist ziemlich demotivierend, wenn man sich vorstellt, dass unsere Aktion vielleicht völlig umsonst war“ , räumt sie nun ein. 

 

Dysmelie 

Dysmelie ist eine angeborene Fehlbildung eines oder mehrerer Gliedmaßen, also der Arme oder Beine beziehungsweise der Hände, Finger, Füße oder Zehen. Sie entsteht durch äußere und zumeist immer noch unbekannte Einflüsse während der Schwangerschaft. Dysmelie wird nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht weitervererbt. Zu Tausenden Fällen schwerer Dysmelie kam es in den sechziger Jahren durch das Medikament Contergan. In den Blickwinkel der Öffentlichkeit rückte dieser Vorfall durch den im Vorjahr ausgestrahlten ARD- Film. Hier spielte ein Dysmelie-Kind, Denise Marko aus Schrobenhausen, eine Hauptrolle. Sie kam ohne Arme und mit nur einem Bein zur Welt. Informationen über die Fuchstaler Gruppe finden sich im Internet unter www.hand-in-hand-shg.org und zum Thema Dysmelie allgemein unter www.dysmelien.de – letztere Seite wurde von Ilse Martin erstellt, die selbst betroffen ist und an dem Treffen in Asch teilnahm.

 

Geleitet wird „Hand In Hand“ von Alexandra Sommer aus Asch (links) und Isabella Nölte aus Landsberg. 

 

Foto: Andreas Hoehne

„Hand in Hand“ als starke Gemeinschaft

Hand in Hand Treffen


Zehntes Treffen der Dysmelie-Selbsthilfegruppe in Asch 

 

Landsberger Tagblatt vom 23.03.2007

Von Andreas Hoehne

 

(Asch) ,,Als starke Gemeinschaft“ präsentierte sich die Selbsthilfegruppe „Hand in Hand“ bei ihrem Treffen im Ascher „Haus der Begegnung“.  Auch etwas Stolz war spürbar bei der Begrüssung der etwa 60 Teilnehmer aus ganz Südbayern durch die beiden Organisatorinnen Isabella Nölte aus Landsberg und Alexandra Sommer aus Leeder. Denn immerhin konnte man mit „Treffen Nummer 10“ ein kleines Jubiläum feiern. 

In der Gruppe organisiert haben sich Menschen, die selbst oder deren Angehörige von Dysmelie betroffen sind. Sie kamen aus noch ungeklärten Ursachen mit verkümmerten Gliedmaßen auf die Welt, zumeist fehlt ihnen ein Teil des Armes. Wie wichtig für sie dieser lockere Zusammenschluss mit jährlich einem Treffen ist, kann man in der einführenden Gesprächsrunde sehr deutlich nachvollziehen. Aufhänger bildete dieses Mal das Thema „Und dann habe ich es erfahren“. Erst noch zögerlich, dann aber immer offener und sehr emotional berichten alle Anwesenden von dem Moment, als sie von der Behinderung ihres Angehörigen erfahren haben und den sie durchgehend als „Riesenschock“ empfanden. In einigen Fällen war dies bereits vor der Geburt, zumeist aber erst in dem Augenblick, in dem der Arzt oder die Hebamme den Säugling der Mutter und dem Vater in die Arme gelegt haben. Selbst 40 Jahre nach diesem Ereignis bricht bei der Schilderung eine Mutter in Tränen aus. Auch in den Wochen danach habe sie nur geweint. „Damals gab es keine Selbsthilfegruppe“ , fügt sie hinzu, „und wir waren einfach ganz allein.“ Ein Kind ist viel mehr als nur ein Arm“ habe sie ihre eigene Mutter nach der Geburt der behinderten Tochter getröstet, berichtet eine weitere Anwesende.

 

Mit Handicap zurecht kommen

 

Dass diese Aussage zutrifft, zeigen die Erfahrungen der Eltern der schon größeren Dysmelie-Kinder. Denn sie selbst kommen mit ihrem Handicap fast immer bestens zurecht und dem 37-jährigen Roland aus Landsberg wird seine Behinderung „erst eigentlich wieder so richtig bewusst, wenn ich auf dem Treffen der Selbsthilfegruppe bin“. „Ihr Kind lernt schneller Schuhe binden als die anderen im Kindergarten“, verspricht ein Vater den Eltern eines kleinen Mädchens ohne Hand und beschreibt damit die eindrucksvolle Anpassungsfähigkeit der ansonsten völlig „normalen“ und vielfach hochintelligenten Kinder. Es ist deshalb vor allem nur eine „gespiegelte Behinderung“, bringt es ein Anwesender auf den Punkt. Sie wird für die Kleineren oft nur aus den Reaktionen anderer erkennbar. Von den „Gaffern“ und dem Unvermögen der Außenstehenden, offen über diese Behinderung zu sprechen, ist in dieser Gesprächsrunde viel die Rede, obwohl auch Verständnis geäußert wird für die Schwierigkeit bei Nichtbetroffenen, „die passenden Worte zu finden“. Am Ende haben sich alle Teilnehmer mit einem zugeworfenen Wollfaden vernetzt“, symbolischer Ausdruck des engen Zusammenhalts dieser Selbsthilfegruppe. Eine wichtige Aufgabe beschreibt Alexandra Sommer zum Abschluss. „Auch wenn es immer wieder das Gleiche ist, meint sie, tut es einfach gut, sich darüber auszutauschen“. Aus Spenden finanziert Daneben möchte diese sympathische Gemeinschaft, die sich aus Spenden finanziert, durch ihre Öffentlichkeitsarbeit und Informationsbriefe an Kliniken und Ärzte sicherstellen, dass es betroffenen Eltern nicht mehr so geht wie in dem geschilderten Fall vor 40 Jahren und sie „ganz alleine stehen“. Ganz offensichtlich mit Erfolg, denn seit dem letzten Treffen vor einem Jahr sind wieder zwei Familien neu dazu gekommen. Weitere Informationen und Kontaktanschriften sind im Internet erhältlich. 

 

DYSMELIE

Mit Handicap zurechtkommen Dysmelie ist eine angeborene Fehlbildung eines oder mehrerer Gliedmaßen, also der Arme oder Beine. Sie kann bereits im Mutterleib mittels Feinultraschall erkannt werden. Dysmelie wird in den meisten Fällen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht weitervererbt. Die ursächlichen Einflüsse können zum Beispiel Infektionen oder Sauerstoffmangel des Embryos sein. Andererseits können auch Nebenwirkungen von Medikamenten und Hormonpräparaten Ursachen für eine Dysmelie sein. Auch Gendefekte können Fehlbildungen der Gliedmaßen verursachen. Quelle: Wikipedia

„Hand in Hand“ – wieder Mut finden

Isabella und Alexandra

Landsberger Tagblatt vom 29.05.2006

 

Selbsthilfegruppe für Dysmelie-Betroffene trifft sich in Asch

Von Andreas Hoehne

 

Asch: Der Erfahrungsaustausch ist uns am wichtigsten“. Darin sind sich die etwa 80 Teilnehmer des Treffens der Vereinigung „Hand in Hand“ im Ascher „Haus der Begegnung“ einig. Die Selbsthilfegruppe für die von Dys-melie Betroffenen und ihre Angehörigen besteht seit über acht Jahren und wird seit einiger Zeit von Isabella Nölte aus Landsberg und Alexandra Sommer aus Leeder geleitet.

 

Die Betroffenen sind Menschen, die aus noch nicht geklärten Ursachen mit fehlenden Gliedmaßen auf die .Welt kommen. Zumeist müssen sie auf den Teil eines Armes verzichten, wie etwa Isabella Nölte selbst oder der siebenjährige Tobias, Sohn von Alexandra Sommer.

 

Mut machen will man bei den jährlichen Treffen vor allem den Eltern kleiner Kinder, die sich Gedanken um deren Zukunft machen. So ist dieses Mal in Asch der 37-jährige Roland Dietrich aus Landsberg mit dabei, dessen linker Arm verkürzt ist und dem an beiden Händen je ein Finger fehlt. Er sei begeisterter Sportler, spiele Zither und arbeite als Diplom-Ingenieur, berichtet der zweifache Familienvater und dann auch über seinen Umgang mit der Behinderung in der Kindheit und Jugend. Wie kommen die Geschwister mit der veränderten Situation in der Familie klar, war eine Leitfrage bei dem Seminar im Haus der Begegnung. So äußerten sich die Zwillingsschwester und der ältere Bruder von Roland Dietrich zu diesem Thema. Isabella Nölte, die in einem Referat mit dem Titel „Meine Schwester ist behindert“ auch theoretische Grundlagen vermittelte, ließ ebenfalls ihre Familie zu Wort kommen.

 

Durch die überaus offene und mutige Darstellung angeregt brachten zahlreiche Teilnehmer ihre ebenso ganz persönlichen Gefühle zum Ausdruck, v/ie etwa im Umgang mit „Glotzern“ oder offensichtlich nur wenig informierten „Fachleuten“. Aufklärung ist deshalb ein Schwerpunkt der Arbeit von „Hand in Hand“. So wurden Informationen über Dysmelie und die Selbst-hilfegruppe an 300 Krankenhäuser und Entbindungsstationen versandt, um betroffenen Eltern die Kontakte zu eröffnen.

 

Sechs Familien habe man im letzten Jahr neu erreicht, berichten die beiden Organisatorinnen stolz. Ermöglicht werden die Öffentlichkeitsarbeit und das Ausrichten der Treffen unter anderem auch durch zwei namhafte Spenden von den Veranstaltern des Hurlacher Hobbymarktes und der „Buchloer Serenaden“, die man in der jüngeren Vergangenheit erhielt.

 

Zudem stellte die Ascher Kirchenstiftung das Tagungshaus wie schon im Vorjahr unentgeltlich zur Verfügung. Aus ganz Südbayern kamen übrigens die 20 Familien zu dem Seminar im Fuchstal und stellten damit dessen Stellenwert unter Beweis. Dort informierte die Finninger Psychotherapeutin Hedy Leitner-Diehl dann über das „systemische Arbeiten mit Familien“. Beratend mit dabei war ebenfalls der Orthopädietechniker Wolfgang Gröpel, Spezialist für die durch Muskelimpulse gesteuerten „myolektrischen“ Prothesen.

 

Für die Kinder war ein Programm mit einer „Hand-in-Hand-Rallye“ vorbereitet. Umfangreiche Informationen über Dysmelie und die Selbsthilfegruppe selbst kann man seit kurzem im Internet unter der Adresse „www.hand-in-hand-shg.de“ nachlesen.

 

Spiel bei der Eroeffnung

Mit einem Spiel wurde das Treffen der Betroffenen und ihrer Angehörigen eröffnet.

Hand auf dem Küchentisch gelassen

hand auf dem küchentisch.jpg

Landsberger Tagblatt vom 23.05.2005

Eines von 10 000 Kindern wird mit nur einem Arm geboren – Selbsthilfegruppe trifft sich

Von Andreas Hoehne

Fuchstal: Ein Stolperstein auf dem Weg zur Million in Günther Jauchs Fernsehshow wäre sicher die Frage „Was ist Dysmelie?“ „Hand in Hand“ heißt eine Selbsthilfegruppe aus unserem Raum, die sich nun schon seit sieben Jahren zu einer von vielen Aufgaben gemacht hat, die Öffentlichkeit über diese seltene Erscheinung besser zu informieren.

In Fuchstal kamen kürzlich etwa 90 Mitglieder dieser Initiative zu ihrem jährlichen Treffen zusammen. „Dysmelie“ rückte vor etwa 45 Jahren für längere Zeit in den Blickwinkel der deutschen Öffentlichkeit durch die vom Schlafmittel „Thalidomid“ ausgelöste Welle an „Contergan-Babys“. Weniger bekannt ist allerdings, dass auch vorher und nachher Kinder mit fehlenden oder fehlgebildeten Armen und Beinen geboren wurden. Warum dies bei etwa einer von 10 000 Geburten der Fall ist, konnte noch nicht geklärt werden. Man schließt zumindest eine erbliche Anlage aus und vermutet äußere Einflüsse in den ersten Wochen der Schwangerschaft. Die in dieser Zeit stattfindende „Ausstülpung“ der Ärmchen und Beinchen dauert nur wenige Stunden. Doch nicht nur über die möglichen Ursachen sprechen die Mitglieder von „Hand in Hand“ mit den Eltern, die kurz nach der Geburt ihres von Dysmelie betroffenen Kindes oft völlig ratlos und ohnmächtig auf die Gruppe zukommen. Kompetente Auskünfte von Geburtshelfern, Hebammen und Kinderärzten sind angesichts der Seltenheit der Krankheit Mangelware, berichten Alexandra Sommer und Annette Guggenmos aus Leeder, die vor sechs und vor vier Jahren Kinder mit verkürzten Armen zur Welt brachten.

Mittlerweile wissen sie aus eigener Erfahrung, dass ihre Kinder sich ansonsten „kerngesund“ und fast ohne psychische Beeinträchtigungen hin zu „einem selbstbestimmten und selbstständigen Leben“ entwickeln. Etwas, was sie gerne an die „Neuen“ weitergeben. Noch mehr Wissen kann Isabella Nölte aus Landsberg einbringen, die zusammen mit Alexandra Sommer die Gruppe organisiert. Sie kam vor 38 Jahren ohne rechten Unterarm zur Welt und hat heute selbst drei gesunde Kinder. Sie erklärt auch, warum sie zu den wenigen selbst betroffenen Erwachsenen in der Initiative gehört. Man empfinde sein Handicap von Kindheit an als etwas Selbstverständliches, meint sie, und wachse damit auf wie mit einer zu großen Nase, an die man sich eben mit der Zeit gewöhnt. „Dass mir etwas fehlt, wurde mir nur durch meine Umwelt bewusst“, berichtet die Landsbergerin von ihren Erfahrungen. Erst mit dem Kontakt zur Selbsthilfegruppe erfuhr sie übrigens die Bezeichnung für diese Fehlbildung.

Eigene Kniffe : Erinnern kann Isabella Nölte sich an eine problemlos verlaufende Schulzeit. Nur vor der dritten Klasse habe sie ziemlich Angst gehabt, verrät sie, denn da stand das Stricken auf dem Unterrichtsplan, etwas, was sie natürlich absolut nicht konnte. Ansonsten verstand sie es ebenso wie andere Betroffene, eigene Kniffe bei der Lösung von Alltagsproblemen wie etwa das „Schuhebinden“ zu entwickeln. Seine Behinderung kompensiere man zudem durch den Hang zum Perfektionismus auf anderen Gebieten, was dazu führt, dass Dysmelie-Kinder zumeist sehr wissbegierig und strebsam sind. Die reibungslose Integration ihrer Kinder in Schule oder Kindergarten können Alexandra Sommer und Annette Guggenmos voll bestätigen. Zumeist fragen die anderen Kinder nur, ob „es denn weh tue“ und sind dann voll beruhigt, wenn dies verneint wird. Unpassende Reaktionen erlebe man gelegentlich nur seitens Erwachsener.

Das Tragen einer Prothese aus kosmetischen Gründen erachten die Kinder deshalb oft als unnötig. Der sechsjährige Tobias Sommer wünschte sich seine „myoelektrische Prothese“, die über die Muskelimpulse im Armstumpf gesteuert wird, deshalb auch nur, um das Fahrradfahren zu erlernen. Die vierjährige Lea Guggenmos besitzt eine weitgehend funktionsunfähige „Schmuckhand“, in deren „Finger“ sie aber zumindest einen Gegenstand zum Halten einklemmen kann. Mit der sie übrigens auch sehr unverkrampft umgeht, denn auf die Frage eines anderen Kindes, „wo denn ihre Hand sei“, erklärte sie kürzlich ganz spontan: „Daheim auf dem Küchentisch!“

Lernen können diese Kinder sicher vieles, heißt es häufig in der Umgebung, doch Dinge wie etwa „das Klettern“ bleiben ihnen für immer versagt. Um ganz selbstbewusst das Gegenteil zu beweisen, verlegte die Selbsthilfegruppe den zweiten Teil ihres Treffens in die Fuchstalhalle mit ihrer Kletterwand.

Die achtjährige Amelie Graßl aus Amberg bei Buchloe, deren Eltern Susanne und Uli Graßl vor sieben Jahren „Hand in Hand“ gegründet hatten, bewies als erste, dass mit Prothese „nichts unmöglich ist“. Auch die Kleinen, wie etwa Lea, versuchten es dann gut gesichert zumindest ein kleines Stückchen an der Wand, und alle Kinder wurden mit herzlichem Applaus für ihren Mut belohnt. Passend dazu hatte man sich am Vormittag im Ascher „Haus der Begegnung“ in einem Vortrag über Sportprothesen informiert. Bei einem früheren Treffen war auch schon Andrea Hegen aus Donauwörth dabei gewesen, die heuer bei den Paralympics in Athen die Goldmedaille im Speerwerfen gewonnen hat. Da sie dieses Mal verhindert war, selbst nach Asch zu kommen, wurde zumindest ein Film über das „große Vorbild“ gezeigt, das mittlerweile in Leverkusen trainiert.

Dankbar waren die Initiatoren dafür, dass die Gemeinde, die Kirchenverwaltung und der Skiclub Asch alle benötigten Einrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt hatten. Da „Hand in Hand“ über keine festen Mittel verfügt, war man früher schon weite Strecken gefahren, um einen kostengünstigen Raum nützen zu können. Auch dieses Mal nahmen aber einzelne Familien mehrstündige Anfahrten in Kauf, um an dem für sie überaus wichtigen Treffen teilnehmen zu können. Die Gruppe „Hand in Hand“, die selbst einen eigenen Internetauftritt plant, ist über Alexandra Sommer in Leeder, Isabella Nölte in Landsberg oder über die e-Mail-Anschrift „handinhand.selbsthilfe@web.de“ zu erreichen. Wer die Arbeit von „Hand in Hand“ aktiv unterstützen möchte, kann dies durch eine Spende auf das Konto 78079282 bei der Sparkasse München (Bankleitzahl 70150000).